Kennen Sie die Choice Theory®? Sie wurde von William Glasser entwickelt. Die Choice Theory geht davon aus, dass jeder Mensch nur die Macht hat, sich selbst zu kontrollieren, und nur begrenzte Macht, andere zu kontrollieren.
Warum beginnt dieser Abschnitt mit Macht und Kontrolle? Und dann auch noch mit der Kontrolle über andere? Ist es da nicht fast schon ein Trost, dass es nach dieser Theorie ziemlich schwierig zu sein scheint, andere zu kontrollieren!
Wie Sie gleich sehen werden, geht es um Selbstermächtigung, darum, einen (hoffentlich positiven) Unterschied für sich selbst und für andere machen zu können. Und Glasser ist der Meinung, dass es nur in begrenztem Maße möglich ist, andere Menschen zu verändern. Das müssen sie schon selbst tun!
Glasser wollte die Menschen darin unterstützen, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.
Wir erleben derzeit eine Zeit enormer gesellschaftlicher Umwälzungen. Kriege und ihre Auswirkungen erschüttern unseren Kontinent. Menschen müssen ihre Heimat verlassen und sind auf die Hilfe anderer angewiesen. Die stetig fortschreitende Inflation bringt immer mehr Menschen in Bedrängnis. Existenzen sind bedroht. Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihr Leben finanzieren sollen: Die Mieten steigen, die Energiekosten explodieren, die Lebensmittel werden immer teurer. Und unsere Gesellschaft ist gespalten. Die Auswirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind unübersehbar: Unsere Gesellschaft ist in zwei Lager gespalten und auf beiden Seiten besteht wenig Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Und der fortschreitende Klimawandel zeigt uns einerseits unsere Ohnmacht und gibt uns andererseits eine Vorstellung davon, welche drastischen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um als Menschheit auf diesem Planeten zu überleben.
All diese Ereignisse und Entwicklungen stellen uns als Gesellschaft vor große Herausforderungen. Unser demokratisches Zusammenleben wird auf die Probe gestellt. Wie gehen wir miteinander um, wenn wir uns selbst bedroht fühlen, wenn wir zutiefst verunsichert sind?
Wie sieht es da mit Verantwortung aus? Welche Entscheidungen müssen endlich getroffen werden? Und wie können wir die Werte der Demokratie aktiv leben, gerade in Zeiten großer Herausforderungen? Wie können wir gemeinsam Entscheidungen treffen, die gut für das Gemeinwohl sind? Und vor allem: Wie müssen wir handeln, um unseren Planeten mit all seinen Lebewesen zu schützen?
Und können wir aus der Geschichte lernen? Der Blick zurück lässt uns nicht gerade zuversichtlich in die Zukunft blicken! Unsere Demokratie in Europa ist noch recht jung. Aber wenn wir die geschichtliche Entwicklung betrachten, müssen wir unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass Zeiten großer Entbehrungen, Zeiten großer Armut und Not dem menschlichen Zusammenleben nicht unbedingt förderlich waren. Die unvorstellbar grausamen Gräueltaten und Verbrechen, die während des Naziregimes täglich begangen wurden, kosteten 6 Millionen Menschen das Leben!
Sie sind Lehrer oder Lehrin. Sie arbeiten mit unseren Kindern. Welche Perspektiven können wir unseren Kindern geben? Wie sollen sie angesichts bedrohlicher Umstände mit Zuversicht in die Zukunft blicken können? Was können wir ihnen mitgeben? Ist es nicht vielmehr so, dass es vor allem die jungen Menschen sind, die uns "Alten" zeigen, dass es höchste Zeit ist, Verantwortung zu übernehmen? Was können wir also jungen Menschen anbieten, um sie dabei zu unterstützen, gute Entscheidungen zu treffen? Und was ist überhaupt eine gute Entscheidung?
Wenn wir angesichts dieser drängenden Situation nur uns selbst kontrollieren können und nur begrenzte Möglichkeiten haben, dies mit anderen zu tun, wird das Thema "Verantwortung für das eigene Denken und Handeln" umso zentraler und wichtiger. Denn: Wir werden nur gemeinsam erfolgreich sein können, d.h. wenn möglichst viele Menschen die volle Verantwortung für sich und ihr Handeln übernehmen.
Nun mag man natürlich einwenden, dass es sehr wohl möglich ist, andere Menschen zu kontrollieren. Durch die zunehmende Digitalisierung schreitet auch die Überwachung von Menschen durch andere Menschen und vor allem durch programmierte Algorithmen voran. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von internationalen Konzernen, die mit unseren Daten große Geschäfte machen.
Steht dies im Widerspruch zu William Glasser und seiner Aussage, dass wir nur begrenzte Macht haben, andere zu kontrollieren?
So wie wir William Glasser verstehen, geht es darum, dass wir nicht darauf warten müssen und schon gar nicht darauf warten dürfen, dass andere sich ändern, damit wir uns selbst ändern (können). Da haben wir nicht viel Spielraum. Die Spaltung der Gesellschaft in Bezug auf die Corona-Maßnahmen hat uns recht deutlich gezeigt, dass die Befürworter:innen und die Gegner:innen der Maßnahmen nur sehr begrenzte Möglichkeiten haben, die Einstellungen und damit das Verhalten der anderen zu beeinflussen, geschweige denn zu ändern.
Und doch brauchen wir gerade jetzt, wenn es darum geht, als Gesellschaft nachhaltige Veränderungen zu bewirken, eine möglichst große Kooperation von uns allen, die auf einer tiefen Empathie für unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Mitmenschen beruht.
Warum geht es hier auf einmal um Bedürfnisse?
Lassen wir an dieser Stelle Marshall Rosenberg, den Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, zu Wort kommen:
Es wird uns allen viel Motivation abverlangen, damit dieser gesellschaftliche Wandel klappt. Und wenn wir Herrn Rosenberg glauben können - und wir meinen, dass wir das sollten - dann geht es bei der Frage der Motivation (bei allem, was wir tun) sehr stark um unsere Bedürfnisse.
Sie sind Lehrerin oder Lehrer und wir freuen uns sehr, dass Sie diese Broschüre lesen. Sie arbeiten jeden Tag mit unseren Kindern. Sie können unseren Kindern eine Menge geben. Neben all dem Wissen, das Sie unseren Kindern vermitteln, ist es auch sehr wichtig, dass Sie unseren Kindern das Folgende mitgeben: Zuversicht. Das Vertrauen, dass wir es gemeinsam schaffen können!
Wenn es uns als Menschheit gelingt, dass möglichst viele von uns Verantwortung übernehmen, wird das unweigerlich dazu führen, dass wir anfangen, uns nachhaltiger zu verhalten, dass wir positivere Beziehungen haben und insgesamt zufriedener mit unserem Leben sind.
Dabei können und sollen wir uns auch gegenseitig helfen. Und das ist unser Verständnis von Demokratie.
Und damit sind wir wieder bei der eingangs erwähnten Choice-Theorie, die wir in den nächsten Kapiteln näher vorstellen werden. Die Choice-Theorie kann dazu dienen, unseren Kindern zu helfen, ein verantwortungsvolleres und bewussteres Leben zu führen. In dieser Theorie geht es auch um unsere Bedürfnisse, die ja die treibende Kraft hinter unserer Motivation sind.
Und es geht um die Tatsache, dass wir die Wahl haben, uns zu entscheiden. Eine wichtige Frage dabei ist: Was ist die beste Strategie, um das zu bekommen, was ich wirklich für mich und meine Mitmenschen und unseren Planeten mit seinen zahlreichen Lebewesen will?
Wenn wir auf unsere Bedürfnisse achten und dafür sorgen, dass wir sie verantwortungsvoll erfüllen, könnte uns das helfen, auf oberflächlichen Komfort zu verzichten und langfristig sinnvolle Maßnahmen zu unterstützen?
Lassen Sie uns das auf den folgenden Seiten gemeinsam herausfinden!